Kant verwendet seine Energie auf einen neuen Spleen, mit dem er sich einmal mehr bei mir unbeliebt macht.
Ich solle, nein müsse mehr recherchieren. Am besten jeden Tag.
Recherchieren?
Jawohl, recherchieren. Im Internet könne man heute ganz einfach recherchieren.
„Ich glaube“, sage ich daraufhin zu meiner Frau, „ich nehme das Leben zu leicht.“
Sie ist überrascht und sieht mich mit dem Ausdruck eines Menschen an, der im Begriff ist, nach Jahren intensiven Nachdenkens ein kniffliges mathematisches Problem zu lösen und unter dem Eindruck eines banalen Ereignisses gerade noch daran gehindert wird, das Ziel mit der Aussicht auf Ruhm, Ehre und Geld zu erreichen.
„Ich finde,“ fuhr ich, ihre Betretenheit als Rückfrage deutend, fort, „dass ich den Dingen dieser Welt mehr auf den Grund gehen sollte, Schatz, so wie wir das vor Jahren in der Uni gelernt haben.“
„Welchen Dingen?“
„Den Dingen allgemein, den Dingen des Lebens, den Dingen, mit denen wir zu tun haben.“
Zur Klarstellung darf ich einfügen, dass die Verwendung der Anrede „Schatz“ oder ähnlicher infantilisierender Ausdrücke in unserer Ehe nicht üblich ist. Wir reden uns selbstverständlich mit unseren Vornamen an. Da diese jedoch hier nichts zur Sache tun, heißt sie im Zusammenhang dieser Erzählungen eben doch „Schatz“, der sie im übrigen auch tatsächlich ist.
Wie auch immer: Die Angelegenheit lässt mich nicht ruhen. Auf Nachfrage erklärt Kant, ich erweckte schon seit längerem einen reichlich uninspirierten Eindruck bei ihm. Ich solle doch, und er wiederhole sich mir zuliebe gerne, einfach ein bisschen recherchieren. Das zerstreue. Außerdem würden sich die Dinge in einem derart rasanten Tempo entwickeln, dass man eben zusehen müsse, wie man auf der Höhe der Zeit bleibe. Ob ich etwa wüsste, was ein Bluetooth-Handy drauf habe. Direkt unerklärlich sei es ihm, dass ich noch immer nicht von Video auf DVD umgerüstet habe, zumal inzwischen der Siegeszug der Blu-ray Disc beschlossene Sache sei.
Ich bin, wie ich gestehen muss, verwirrt: Meine Frau fragt mich nach meinem Statement, den Dingen mehr auf den Grund gehen zu wollen, welche Dinge ich denn meine, als wollte ich von ihr etwas anderes hören als ein „Ich liebe dich so wie du bist“. Und Kant, der das Ganze losgetreten hat, verweist auf eine neue digitale Technologie, der auf den Grund zu gehen, ich nicht die geringste Lust habe. Unter „Dingen dieser Welt“ stelle ich mir etwas ganz anderes vor als eine Scheibe.