Kants Kritik meiner reinen Vernunft

Kants Kritik meiner reinen Vernunft

Kant ist natürlich tot, so tot, wie so viele andere vor und nach ihm halt auch tot sind. Wieso Kant?

Jeder verfügt tief in sich drinnen über seinen eigenen Kant, vielmehr verfügt Kant über ihn. Das ist so ein neunmalkluger Besserwisser, der bei so etwas wie dem kategorischen Imperativ feuchte Augen kriegt: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.

Dieser Kant ist unser ganz persönlicher Pferdeflüsterer, obwohl der eigentlich seine Bestimmung darin findet, das Rossgemüt zu besänftigen. Aber Kant, der Kant in uns allen, dieser Kant regt uns auf. Mich regt er auf. Weil er stört. Kurzum: Kant geht mir auf den Geist.

Sie wollen ein Beispiel? Gerne. Typisch ist folgender Dialog zwischen Kant und mir. Dazu muss ich erklären, dass ich seit 18. Januar 1975 schriftstellerisch tätig bin. Ich betreibe das Schreiben aber mehr als Hobby. Meine gelegentlichen Anfragen bei einem Verlag ergeben stets, dass eine Investition in mein Werk für nicht rentabel gehalten wird, was ich durchaus verstehe. Und was mir ungeahnte schriftstellerische Freiheiten beschert. Niemand redet mir rein in meine Arbeit. Ich könnte eigentlich machen, was ich will: schreiben wann ich will, wie ich will, was ich will.

Eigentlich – wäre da nicht Kant.

Wenn ich Gedanken, die mir in der S-Bahn bei der Fahrt in die Arbeit durch den Kopf gehen, oder das manchmal höchst merkwürdige Benehmen meiner Mitmenschen notiere, wenn sie etwa mir gegenüber Platz nehmen und sich schminken, frühstücken oder ihre Babys stillen, als wäre die S-Bahn die Fortsetzung der Wohnung, wo man sich schon mal in der Nase bohren darf – also wenn ich das mache, meldet sich Kant und sagt: „Du musst erst mal gründlich recherchieren.“

„Recherchieren?“ frage ich.

„Ja, recherchieren“, sagt er.

„Was recherchieren?“ frage ich.

„Wie das S-Bahn-System funktioniert: die Technik, das Schienennetz, das Tarifsystem und so Sachen.“

„Du spinnst“, sage ich dann und recherchiere natürlich nicht. Aber es regt mich auf.

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