
Als wieder einmal eine Wahlschlacht geschlagen und der Bundeskanzler wieder Bundeskanzler geworden war, musste er sich dem mühseligen Geschäft der Kabinettsbildung widmen.
„Kabinette bilde ich nun einmal gar nicht gerne“, dachte er bei sich. Aber er musste da durch, weil das die Verfassung seines Landes vorschrieb.
„Die könnte man aber auch wieder einmal ändern“, sagte er eines Tages zu einem Vertrauten, den er beim Kontrollgang durch das Kanzleramt getroffen hatte.
In der Verfassung jenes Landes aber war für alle Fälle und Zeiten niedergelegt, was erlaubt war und was nicht, und welche Rechte und Pflichten jeder Bewohner des Landes hatte. Für den Bundeskanzler war es unfassbar, dass sogar die Opposition Rechte hatte, ja dass eine Opposition überhaupt erlaubt war. Und dann musste er sich alle vier Jahre einmal der demütigenden Prozedur einer Wiederwahl unterziehen! Eine solche Verfassung ist für einen echten Bundeskanzler wirklich eine echte Bürde. Ihr, die ihr dem einfachen Volk angehört, könnt euch gar keine Vorstellung davon machen. Wie soll man da Bundeskanzler sein?
Das musste anders werden! So macht regieren nämlich überhaupt keinen Spaß. Aber die Verfassung konnte man nicht so einfach ändern. Sie stand nämlich unter dem besonderen Schutz Nixdas, dem kahlköpfigen Riesen, der in einer Berghöhle im Stadtpark von Karlsruhe Tag und Nacht auf der Verfassung saß. Und wer sich nicht an die Verfassung hielt, löste sich unverzüglich in Luft auf.
Nur einmal im Jahr, wenn der Geburtstag der Verfassung begangen wurde und sich die Menschen, allen voran der Bundeskanzler, vor dem Berg versammelten, um ihr und Nixda zu huldigen, trat der Riese vor den Berg und zeigte allen das in Leder gebundene und goldgeschnittene Buch. Dabei stierte er aus seinen von Amts wegen blinden Augen mit dem Ausdruck unnachsichtiger Gerechtigkeit in die Menge. Dann ging er wieder zurück und lag seiner Pflicht ob. Hin und wieder aber stand er auf, um sich die Beine zu vertreten oder menschlichen Bedürfnissen abzuhelfen.
Der Bundeskanzler wusste: Nur wenn Nixda aufstand, würde es möglich sein, diesem Land eine andere Verfassung unterzuschieben.
Aber durfte er das denn? Moralisch hatte er da so seine Zweifel. Schließlich hatte er ja bei seinem Amtsantritt vor unvordenklichen Zeiten auf eben jene Verfassung, die Nixda gluckengleich bebrütete, einen heiligen Eid geschworen. Noch dazu in aller Öffentlichkeit! Würde man ihn nicht des Landesverrats bezichtigen und mit Schimpf und Schande aus dem Amt jagen?
Andererseits wäre er nie Bundeskanzler geworden, wenn er solchen moralischen Skrupeln die Zügel hätte schießen lassen. Viel schwerer wog für ihn die Frage: Was will ich ändern? Und: Wie lässt sich die Änderung bewerkstelligen, ohne dass Nixda etwas davon merkt? Er musste Nixda überlisten.
Der ahnte davon natürlich nichts. Er saß auf der Verfassung und hütete sie mit all der Kraft, die er auf die Waage bringen konnte. Damit diese nicht weniger würde, musste er stets genug zu essen und zu trinken haben. Für sein leibliches Wohl waren seine drei Assistenten zuständig. Sie mussten auch auf die Verfassung aufpassen, wenn er sich gelegentlich die Beine vertreten wollte oder verrichten musste, was jeder von euch verrichtet. Die drei waren ihm treu ergeben.
Sie waren von affenartiger Gestalt, die als Team nach eindeutigen Merkmalen zusammengestellt worden sind. Der eine war stumm, der andere taub, und der dritte blind. Das garantierte, dass sie nur gemeinsam stark waren und keiner allein auf dumme Gedanken kommen konnte. Sie mussten Nixda bedingungslose Treue schwören.
Es gab natürlich eine Reihe von Verständigungsproblemen. Um ehrlich zu sein: Eine Verständigung war überhaupt nicht möglich. Denn über das, was Sinix, Sagnix und Hörnix, wie die drei Äffchen hießen, jeder für sich verfügten, das vereinte Nixda auf sich alleine: Dass er von Amts wegen blind war, um nicht vom Anblick irdischer Schönheit verwirrt werden zu können, wisst ihr bereits. Aber er war in Personalunion außerdem taub und stumm. Nur so konnte er Neutralität in allen Belangen des Verfassungsrechts wahren. Allerdings stolperte er deshalb auch oft und verletzte sich manchmal ziemlich arg.
Das verleitete Sinix, Hörnix und Sagnix mehr als einmal dazu, Nixda einen Streich zu spielen. Die drei waren nämlich ausgesuchte Schälke. Allerdings scheiterte mancher Streich an den genannten Verständigungsschwierigkeiten, mit denen Hörnix, Sagnix und Sinix stets zu kämpfen hatten.
Und was für Schälke das waren! Als ob das nicht schon genug gewesen wäre, trugen sie auch noch die zu ihnen passenden Namen, jeder drei. Sie hießen nämlich nicht nur Sinix, Sagnix und Hörnix. Sinix hieß im ganzen Sinix Hörwas Sagwas, Sagnix hieß Sagnix Siwas Hörwas und Hörnix hieß Hörnix Siwas Sagwas.
Teil 2 in einer Woche