
In einem fernen Land war einmal ein Bundeskanzler. Der war eines Tages ganz traurig. Zwei Minister seiner Regierung hatten großen Streit miteinander. Da machte das Regieren bald gar keinen Spaß mehr. Keine Kabinettssitzung verging, bei der nicht die Fetzen geflogen wären, dass es nur so eine Art hatte.
„Was soll ich nur machen?“, sagte der Bundeskanzler im Stillen zu sich selbst, als es im Kabinett gerade wieder richtig hoch her ging. Aber er wusste keine Antwort darauf. Denn als Bundeskanzler war er es nicht gewohnt, Fragen, die er sich selber stellte, auch selber zu beantworten. Dafür hielt er sich ja eine Menge von Beratern, die ihn in einem fort berieten. Ob er seine Berater auch mit dieser Angelegenheit betrauen sollte? Dazu konnte er sich jedoch nicht durchringen. Jedenfalls vorerst nicht.
Mit Grausen dachte er an den Skandal, den seine Idee, nur noch Spenden an Parteien, speziell an die seine, als gemeinnützig steuerlich absetzen zu können, verursachte. Dabei hatten alle seine Berater „Ja“ angekreuzt, als er ihnen diese Idee auf einem ausgeklügelten Fragebogen vorlegte: „Sind Sie dafür, dass künftig nur Parteispenden an meine Partei steuerlich absetzbar sind und kommen Sie zum Kanzlerball mit einer vom Verteidigungsministerium vorbereiteten Strip-Tease-Vorführung?“
Nein, für sein neues Problem wollte er nach anderen Lösungen suchen, nach innovativen. Die Leitung des Kabinetts war schließlich seine Sache.
So stürzte er sich in das Studium von Akten. Im Bundeskanzleramt lagen immer irgendwelche Akten herum, die studiert werden wollten. Da gab es zum Beispiel den ziemlich verstaubten Akt mit der Aufschrift „Vereinfachung des Steuerrechts“. Den nahm er sich nun vor, und er hatte großen Spaß dabei.
Doch in seinem Innersten gab er sich der Hoffnung hin, dass ihm eine gute Fee eine Idee zur Lösung seines Problems eingeben möge.
Über dem Studium einer Akte mit vielen Bildern vom letztjährigen Kanzlerball, für dessen Vorbereitung das Bundesbildungsministerium verantwortlich war, den er deshalb überhaupt nicht verstanden hatte, kam ihm plötzlich eine Idee. Er kramte nach dem Ordner mit den Reiseerinnerungen. Darin waren seine vielen Begegnungen mit berühmten Menschen und die vielen Ehrungen, die er auf der ganzen Welt erhalten hatte. Und mitten in seine Idee hinein überraschte ihn der Schlaf, und er konnte so seine Idee mühelos einfach weiterträumen. Im Traum sah er sich auf Reisen durch die ganze Welt.
Da sieht er sich, wie er gerade die Ehrendoktorwürde der Fachhochule für Baumveredelung von N.N. erhält. Und er sieht sich als Redner regelrecht explodieren, der die versammelten Wissenschaftler zu hemmungslosem Applaus hinreißt.
Und sein Traum führt ihn weiter nach New York, wo er dem Generalsekretär der Vereinten Nationen seine Sicht der Welt darlegt, die dieser begierig aufsaugt, um seine eigenen Reisepläne darauf abzustimmen. Und tatsächlich wird die Welt nach diesem Blitzbesuch spürbar besser. Die Zahl der Auffahrunfälle auf den großen Wasserstraßen der Welt geht spürbar zurück.
Und er sieht sich bei der Grundsteinlegung für den Neubau der Fachhochule für Baumveredelung von N.N., wie er das anwesende Publikum mit seinem fünfminütigen Statement über die Geschichte der modernen Baumschularchitektur in ehrliches Erstaunen versetzt.
Und er sieht sich in Amerika, wie er dem Präsidenten die Hand schüttelt, begleitet von einem Lächeln, das in den größten Tageszeitungen der Welt mit allem Nachdruck als politischer Schachzug ohne Beispiel gewürdigt wird.
Und da war dann plötzlich die Idee! Denn dieser Traum machte ihm klar, wer er war. So träumte er von seinem Kabinett. Die Regierung saß beisammen, um über die Politik für die nächsten Woche zu beraten und hier und da sogar Entscheidungen zu treffen oder wenigstens anzudenken. Aber mittendrin brach der Dauerkonflikt zwischen den Streithähnen auf. Sie beschimpften sich auf das Wüsteste und lähmten die ganze Sitzung. Der Kanzler bemerkte die flehenden Augen der anderen, endlich etwas zu unternehmen. Doch der Kanzler war sich seiner Sache dieses Mal sicher: Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Es war die Ruhe des souveränen Staatsmannes, und er fasste die beiden ins Auge, als wollte er telepathische Fähigkeiten mobilisieren.
Dann sagte er: „Nanana! Was soll denn das? Wenn hier nicht sofort Ruhe einkehrt, werden die Fernsehauftritte für den Rest der Legislaturperiode gestrichen.“
Sofort trat Ruhe ein, und der Kanzler erwachte.
Von da an war der Bundeskanzler nie mehr traurig.