
7.
Da kam die Gesundheitsministerin „nur auf einen Sprung“ vorbei, wie sie sagte. Anfangs druckste sie nur so herum, und der Bundeskanzler wollte ihr schon zu verstehen geben, dass ihm ihr scheinbar überflüssiger Besuch wertvolle Regierungszeit, die von der Legislaturperiode abginge, kostete.
Da rückte sie mit ihrem Anliegen heraus:
„Ich habe festgestellt, dass wir das Gesundheitssystem schon seit über einem Jahr nicht mehr reformiert haben.“
„Wie ist das nur möglich?“, sagte der Bundeskanzler, der sich nicht genug wundern konnte.
„Naja, es hat sich so ergeben, mein Bundeskanzler. Das war nicht Absicht.“
„Dann lasse dir gefälligst schnell etwas einfallen, Gesundheitsministerin.“
„Wir könnten eine Praxisgebühr für alle Patienten einführen, die Zahl der chronisch Kranken deutlich reduzieren, indem wir einen Großteil der chronischen Krankheiten per Gesetz abschaffen. Wir könnten die teuersten Medikamente für unwirksam erklären, damit sie von den Krankenkassen nicht mehr bezahlt werden müssten.“
„Das darf aber die Staatskasse nichts kosten.“ Der Kanzler sah das warnende Gesicht des Finanzministers vor sich.
„Über die Finanzierung habe ich bereits einen Vorschlag ausarbeiten lassen. Wir erhöhen einfach die Tabaksteuer. Das hält die Menschen vom Rauchen ab…“
„Was nicht gut für die Einnahmen ist“, erkannte der Bundeskanzler sofort, sagte das aber nicht.
„Das hält nicht lange. Bald rauchen die Leute wieder, und dann kommt richtig Geld rein.“
Der Bundeskanzler dachte an seinen zur Neige gehenden Vorrat an wertvollen kubanischen Zigarren.
„Wenn wir außerdem die Steuern auf die Alkopops anheben, tun wir was für die Jugend, und nur die’s überhaupt nicht lassen können, werden zur Kasse gebeten.“
„Gut, mache dich an die Arbeit und erstatte bei der nächsten Kabinettssitzung Bericht.“
8.
Als die Gesundheitsministerin ging, gab sie die Klinke dem Innenminister in die Hand, der ganz aufgelöst wirkte und sofort losplatzte.
„Die Bayern!“ stieß er wütend hervor. „Diese vermaledeiten Bayern. Das muss ein Ende haben.“
„Aber setze dich erst einmal und beruhige dich, Innenminister. Was ist denn geschehen, dass du so wütend bist?“
Und der Innenminister erzählte, dass derzeit eine vom Bundeskanzler persönlich eingesetzte Expertenkommission nach Möglichkeiten suchte, die Verfassung des fernen Landes zu modernisieren und den gewandelten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen anzupassen und entsprechend leistungsfähiger zu gestalten.
„Aber das weiß ich doch“, sagte der Bundeskanzler. „Nur, wo ist das Problem, werter Innenminister? Ich sehe es nicht.“ Dabei blickte er versonnen auf den Knopf „Problem erkannt“ auf seiner Regierungsmaschine und dachte an das beliebte Kinderspiel „Schiffe versenken“, das er noch immer gerne auf internationalen Konferenzen, z.B. bei der UNO, mit seinem englischen Kollegen spielte. Der russische fand auch zusehends Gefallen daran.
„Es ist einfach so, dass diese Kommission sagen kann, was sie will, die Bayern wollen immer etwas anderes. Die sind nie zufrieden.“
„Aber du träumst, Innenminister. Du bringst da etwas durcheinander. Die Bayern sind weit weg. In unserem Land gibt es keine Bayern.“
„Ja, aber meine Informanten vom Nachrichtendienst…“
„Die haben dir einen Bären aufgebunden.“
Nach ein paar Augenblicken begann der Innenminister zu lachen.
„Diese kleinen Schäker! Heute ist der 1. April. Ach da bin ich aber froh.“
Erleichtert ging er. Aber der Bundeskanzler überlegte, ob er den Innenminister nicht entlassen sollte. Denn es war gar nicht der 1. April.
9.
Da klopfte es abermals, und der Wirtschaftsminister stand auf der Matte des kanzlerschen Arbeitszimmers.
„Na“, sagte der Kanzler mit einem spöttischen Ton in der Stimme, „hast du heute nichts zu tun?“
Der Wirtschaftsminister aber stöhnte nur und sagte:
„Ich weiß jetzt, wie wir wiedergewählt werden können. Wir schaffen die Arbeitslosigkeit ab.“
„Das geht doch nur im Märchen.“
„Aber mein Bundeskanzler, leben wir denn nicht in einem Märchenland? Über Nacht ist es verdoppelt worden. In so einem Land muss doch auch der Arbeitslosigkeit beizukommen sein.“
„Das ist was dran, Wirtschaftsminister. Ich merke dich für größere Aufgaben vor.“
„Aber das ist doch nicht nötig“, sagte der Wirtschaftsminister leicht beschämt. „Ich habe doch einen Eid auf unsere Verfassung geschworen.“
„Haben wir das nicht alle?“ sagte der Bundeskanzler.
Da musste der Wirtschaftsminister aber ganz herzlich lachen. Der Bundeskanzler war schon so einer.
„Spaß beiseite, Wirtschaftsminister. Wenn das etwas werden soll, müssen wir ein Gesetz machen. Hast du eine Idee?“
„Wir werden die Menschen ab 15 Jahren dazu verpflichten an fünf Tagen in der Woche solange zur Arbeit zu gehen, bis sie eine gefunden haben. Das ganze nennen wir nach dem biblischen Motto ‚Wer suchet, der findet‘ ganz einfach ‚Arbeitsfindungsgesetz‘, kurz ‚AfiG‘.“
„Kostet das etwas?“
„Naja, wir brauchen für das Gesetz Papier und so, aber sonst? Nicht dass ich wüsste.“
„Dann kannst du loslegen.“
10.
So kam der Abend, und mit dem Abend kam auch der Finanzminister wieder. Der staunte nicht schlecht, den Bundeskanzler in so aufgeräumter Stimmung anzutreffen. Der tippte gerade recht eifrig seinen Tagesbericht in die Regierungsmaschine so wie andere Menschen ihren Abfall in den Müllschlucker stopfen.
„Lieber Finanzminister, wie steht es mit den Staatsfinanzen?“
„Noch schlechter als heute früh.“
„Was ist denn geschehen?“
„Mein Steuerberater hat mir mitgeteilt, dass ich eine ziemlich üppige Steuerrückzahlung zu erwarten habe. Ich bin am Verzweifeln. Wir hätten das Land nicht verdoppeln dürfen.“
„Du musst nicht verzweifeln.“
„Weißt du denn, wie es weitergehen soll?“
„Wozu bin ich denn Bundeskanzler?“ sagte der Bundeskanzler in einem begütigenden Ton. „Außerdem habe ich ja noch die Regierungsmaschine. Die wird in ein paar Augenblicken die Daten, die ich soeben eingegeben habe, ausgewertet haben. Ich werde jetzt auf diesen Knopf drücken.“ Und er drückte auf den Knopf „Probleme lösen“.
Da begann die Maschine ganz fürchterlich zu rattern, dass sich der Finanzminister die Ohren zuhalten musste.
Da es die modernste Regierungsmaschine auf der ganzen Welt war, dauerte es gar nicht lange, bis sie das Ergebnis ihrer Berechnungen ausdruckte. Es bestand nur aus einem Satz:
„Beauftrage eine Werbeagentur mit der Kampagne ‚Fit für 2010‘.“
Da lachte der Bundeskanzler und sagte: „Da hätte ich auch selber draufkommen können.“
Schade, dass kein Fotograf anwesend war. Denn das Bild, wie er so lachte, hätte man sehr gut für diese Kampagne verwenden können. Deshalb wurde ja auch nichts draus.