Es träfe mich hart, sollte jemand der Meinung sein, Kant wäre mir über, ja er beherrsche mich, dominiere gar meinen freien Willen. Auf eben den bilde ich mir nämlich etwas ein.
Ich weiß ja, dass es ein paar handverlesene Neuronenforscher gibt, die mit dem freien menschlichen Willen hadern. Neuronenforscher sind Menschen, die ihr Geld damit verdienen, dass sie in menschlichen Gehirnen von diesem produzierten Impulsen nachjagen und aus ihren Forschungsergebnissen Thesen über unser Verhalten ableiten.
Wenn sie etwa im Gehirn eines Mitbürgers, der in dem Augenblick, da er einer Verkehrskontrolle unterzogen wird, beabsichtigt, einem Polizeibeamten den Mittelfinger der rechten Hand entgegenzustrecken, einen neuronalen Impuls ausmachen, bevor die Untat, und sei es nur den Bruchteil einer Sekunde, ins Werk gesetzt wird, behaupten sie forsch: Die Rede vom freien Willen ist falsch, der Mensch ist ein vom Gehirn gesteuertes Wesen.
Ach, wenn es doch so wäre!
Wir bräuchten nicht nur keine Polizei und keine Gerichte mehr. Nach Herzenslust könnten wir wem auch immer unsere Mittelfinger entgegenstrecken, Sahnetorten, Lederschuhe oder wüsteste Beschimpfungen an den Kopf werfen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Denn unabhängig von Alter und Geisteszustand wären wir allesamt schuldunfähig. Natürlich wäre mit der Freiheit des Willens auch diejenige von Forschung und Lehre preisgegeben, was insofern jedoch verschmerzbar wäre, als uns die eine oder andere abenteuerliche These erspart bliebe.
Zuvor würde ich allerdings doch zu gerne wissen, wie sich ein Neuronenforscher fühlen mag, der erlebt, wie seine wissenschaftliche Arbeit, der er sich aus vermeintlich freien Stücken widmet, auf die Schlussfolgerung hinausläuft, eben diese Arbeit sei nichts anderes als eine von seinem Oberstübchen gesteuerte Zwangshandlung, und die Neuronenimpulse seien den Fäden vergleichbar, an denen Marionetten hängen.
Eben deshalb träfe es mich hart, wäre jemand der Meinung, Kant dominiere meinen freien Willen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich diese Zeilen wohl nie geschrieben hätte, wenn er nicht dauernd in meinem Kopf herumspukte.