Fällt es mir schon schwer, mein Verhältnis zu Kant zu beschreiben, so bereitet es mir erst recht Mühe darzustellen, wie er sich mir auf unsprachliche Art zu erkennen gibt. Das passiert nämlich durchaus.
Es war bei einem familienpolitischen Kongress. Da verspürte ich eine wachsende Unruhe Kants, die sich schließlich darin entlud, dass er mich in die Seite stieß. Diese Beschreibung lässt sich durch keine Beobachtung bestätigen. Ein Wesen, das wie Kant gänzlich unkörperlich ist, als wäre es einem Science Fiction-Roman entsprungen, lässt sich eben nicht beobachten. Und doch wüsste ich nicht, wie ich es anders ausdrücken sollte als: Er stieß mich in die Seite.
Was mochte ihn so aufgebracht haben?
„Hast du gehört? Ihr sterbt aus.“
Ich gab mich erstaunt: „Wie meinst du das?“
„Wie werde ich das schon meinen? Ihr sterbt aus, das meine ich.“
„Rede mir nicht vom Sterben. Du weißt, dass in meinem rechten Unterkiefer gerade ein Zahn steckt, der soeben seinen Geist aufgegeben hat, nicht ohne mich gehörigen Schmerzen auszusetzen.“
„Ich rede doch nicht von euren Zähnen, ich rede von euch Menschen insgesamt.“
„Soso.“
„Dir scheint das nichts auszumachen. Soeben hat doch der Referent ausgeführt, dass jede Frau nur noch 1,4 Kinder zur Welt bringt. Ihr tut mir richtig leid, ihr Menschen.“
„Mir tut auch jede Frau leid, die 1,4 Kinder zur Welt bringt, obwohl ich einer Familie mit 1,4 Kindern natürlich gerne mal über den Weg laufen würde. Aus rein menschlicher Neugier.“
Nach einer Pause fügte ich noch an: „Übrigens: Unser Aussterben verzögert sich etwas. Wir leben neuerdings nämlich länger. Jedenfalls im Durchschnitt. Ich also auch.“
Das schien Kant irgendwie zu beruhigen. Zwar war es Kant aus einem mir unerfindlichen Grunde wichtig, mir stets auf die Nerven zu gehen, aber dennoch übte meine gestiegene Lebenserwartung einen tröstenden Einfluss auf sein Gemüt aus.
Ein Kommentar zu „Kant und meine Lebenserwartung“