1
Manche Hirnforscher verneinen den freien Willen. Vielleicht ist daran richtig, dass dieser freie Wille bei so vielen Handlungen im Alltag nicht nötig ist und deshalb keine Rolle spielt. Das Sensorium des Körpers stellt sich perfekt darauf ein und macht Willensentscheidungen, etwa beim Kauen, unnötig. Aber die Entscheidung, jemanden zu lieben, ist keine von der Art, dass man sie dem Körper überlassen könnte.
Was mich betrifft, so war die Sache aus Kants Sicht klar: „Dein freier Wille bin ich“, sagt er, wenn er meinte, es sagen zu müssen, und stellte damit in beängstigender Selbstverständlichkeit sein Ego über das meine.
2
Ich schlage Kant ein Spiel vor.
„Es ist ein geistiges Spiel“, sage ich, um seine Neugier zu wecken. Ein Geist wie er muss doch an einem solchen Spiel interessiert sein.
„Oho, ein Körperwesen wie du denkt sich ein geistiges Spiel aus.“
Ich lasse mich, wie sonst auch, von Kants Hohn nicht beeindrucken und erkläre ihm die Regeln. Ich würde im Geiste einen meiner zehn Finger bewegen, und er, Kant, müsse erraten, welchen ich bewegt hätte, wenn ich ihn bewegt hätte.
Sobald er die Regel verstanden habe, sagt Kant, wolle er mir Bescheid geben, ob er dieses Spiel spielen wolle. Es klinge jedenfalls recht merkwürdig.
3
„Du willst mich nur auf den Arm nehmen“, sagt Kant nach einem nicht unerheblichen Zeitraum des Nachdenkens.
„Wie kommst du darauf?“
„Es ist doch völlig gleichgültig, welchen Finger ich nenne. Du allein entscheidest, ob ich ihn erraten habe oder nicht.“
„Du scheinst zu argwöhnen, ich könnte das Spiel zu meinen Gunsten manipulieren.“
„Könntest du.“
„Und was glaubst du: Würde ich?“
Da er keine Antwort gibt, die ich dennoch gleichsam rieche, füge ich hinzu:
„Dein Misstrauen ehrt mich.“
4
Dein freier Wille bin ich: Das habe ich seither nicht wieder gehört.