Nachdem ich Kant von einem Herrn erzählt hatte, dem ich jeden Morgen auf meinem Weg in die Arbeit begegnete und der mir durch seine distinguiert wirkende Art auffiel, die sich morgens um sieben sonst kaum bei einem Menschen beobachten lässt, unterhielten wir uns grundsätzlich über gepflegte Erscheinungen, wobei ich, ohne mich an jede einzelne meiner Ausführungen erinnern zu können, in etwa folgende Definition zum Besten gab:
Gepflegte Erscheinungen besäßen mehrere Armbanduhren, die sie passend zu ihrer Garderobe auswählten, eine silberne mit einem grünen, eine weitere silberne mit einem schwarzen Zifferblatt, eine goldene mit einem braunen Lederarmband und einige andere. Die Farbe ihrer Socken harmoniere mit der Farbe ihrer Hemden. Ihre Schuhe seien auf Hochglanz poliert. Wenn sie sich setzten, nähmen sie Platz und schlügen elegant die Beine übereinander. Sie seien stets höflich und achteten dabei dennoch die Distanz. Sie fielen nicht auf, weil sie es darauf anlegten. Sie fielen auf, weil sie es nicht darauf anlegten. Nicht sie umgäben sich mit Komfort, der Komfort umgebe sie. Sie machten mit der größten Selbstverständlichkeit von ihm Gebrauch, mit einer derart perfekten Selbstverständlichkeit, die den Eindruck erweckte, er, der Komfort, wäre für sie bedeutungslos. Sie nähmen ihn halt hin.
Wenn ihre Garderobe, was ich nicht zu vermuten wagte, Konfektionsware wäre, so wirke sie an den Körpern gepflegter Erscheinungen wie maßgeschneidert. Lebten sie im Luxus, so schwelgten sie nicht in ihm. Vielmehr dürfe sich der Luxus glücklich schätzen, wenn sie sich ihm zur Verfügung stellten. Alles in allem koste es natürlich Zeit und Geld, sich so bis zur Unauffälligkeit auszustatten, bevor man sich als gepflegte Erscheinung unter seine Mitmenschen mischen könne.
Kant, der mir aufmerksam zuzuhören schien, quittierte meine Einlassungen mit einem beherzten: „Du Neidhammel!“
„Was mich betrifft“, sagte er, „wenn ich eine Erscheinung wäre, würde ich auch eine gepflegte sein wollen.“
„Ja bist du denn keine Erscheinung?“
„Hast du mich schon mal erscheinen gesehen?“
„Das fehlte mir noch. Aber was bist du dann?“
„Deine Einbildung.“
Solange du nur gepflegt bist, dachte ich, womit ich das Thema auf sich beruhen ließ. Kant ließ es gottlob auch auf sich beruhen.