1
In Zeiten der Muße bedrängen mich bisweilen die merkwürdigsten Gedanken, denen allerdings ein gewisser kreativer Charakterzug nicht abzusprechen ist.
Mit Zeiten der Muße meine ich insbesondere die Minuten vor dem Einschlafen, wenn sich mein Geist von den Beschwernissen des Tages löst und sich in Gefilde davonmacht, die den Eindruck erwecken, als wären sie jederzeit und ohne viel Aufwand für jeden zugänglich wie der Englische Garten in München, dem sogar praktizierende Nudisten die Ehre ihres Besuches erweisen können.
2
Eines Abends, ich lag bereits im Bett, drängte sich das Wort „Urlaub“ in den Vordergrund meiner sich im Abflauen befindlichen bewussten geistigen Tätigkeiten, ohne dass ich mich damals mit Urlaubsplänen oder ähnlichem beschäftigt hätte, wie ich hinzufügen muss. Denn ich beschäftige mich nie mit Urlaubsplänen, weil ich nie in Urlaub fahre. Ich habe nur Urlaub, und den lassen meine liebe Frau und ich einfach auf uns zukommen, eine bei kreativen Menschen durchaus häufig zu beobachtende Methode zur Maximierung ihrer Lebensqualität.
3
Ich bin mir nicht sicher, ob alle Menschen, die in Urlaub fahren, auch Urlaub haben. Dass es jedoch Menschen sind, die Urlaub machen, scheint mir festzustehen.
Ich meine nämlich in den Wendungen des Urlaubhabens und -machens einen Unterschied zu erkennen. Wer Urlaub hat, musste ihn zuvor bei seinem Arbeitgeber beantragen. Zwar kann er, weil es vertraglich vereinbart ist, über ein bestimmtes Kontingent an Urlaubstagen im Jahr verfügen, aber nicht nach Belieben, sondern nur dann, wenn der Arbeitgeber damit einverstanden ist. Der allerdings kann einen Urlaubsantrag nicht nach Gutdünken ablehnen, weil das den Urlaubsanspruch seines Angestellten unterliefe.
Ist der Urlaub genehmigt, kann der Arbeitnehmer, der Urlaub „hat“, schließlich Urlaub „machen“ und, wenn er will, in diesen fahren. An dieser Stelle überschneidet sich die Sphäre der Urlaubhaber mit derjenigen der Urlaubmacher. Ansonsten sind die Letzteren Menschen, die keinen Urlaub haben. Sie können ihn nur machen. Denn sie haben keinen vertraglich geregelten Urlaubsanspruch, brauchen deshalb auch keinen zu beantragen. Sie sind Selbständige oder Menschen, die es nicht nötig haben, sich ihren Lebensunterhalt erwerbsarbeitenderweise zu verdienen, weil ihr Geld das stellvertretend für sie besorgt. Sie können nach eigenem Ermessen Tage des Jahres zum Urlaub erklären, in den sie meistens fahren, weil sonst kein Unterschied zu ihrem Alltag zu erkennen wäre. So machen sie ihren Urlaub selbst, den sie dann zwar auch haben, und in den sie auch fahren. Aber das Prinzip des Habens steht ihnen bei alledem nicht zu Gebote, nur das Prinzip des Seins.
4
Nicht selten zwinge ich meine Ideenflüge vor dem Einschlafen zur Landung. Ich meine damit, dass ich alles an Gedankenkraft aufbringe, um ihnen, sofern sie mir tauglich erscheinen, konkrete textliche Gestalt zu verleihen, so dass ich sie am nächsten Tag nur noch aus dem Gedächtnis zu befreien und abzuschreiben brauche.
Das setzt natürlich eine gewisse Übung voraus. Aber was tut man nicht alles, um einer Idee wegen nicht aufstehen zu müssen, was allerdings auch bei mir trotz meines geübten Umgangs mit dem Gedächtnis vor dem Einschlafen nötig sein kann, insbesondere dann, wenn ich von einer Idee so sehr überzeugt bin, dass ich glaube, sie dürfe unter keinen Umständen verloren und ich kein auch noch so kleines Risiko eingehen.
Verhindern lässt sich das gleichwohl nicht immer. In solchen Fällen weiß man, und das finde ich höchst interessant, dass man etwas vergessen hat, aber man weiß nicht, was.
Andere Ideen zwinge ich nicht zur Landung. Ihnen gönne ich es, sich frei im Luftraum meiner Phantasie zu bewegen. Mögen sie meinem Assoziationsvermögen und meiner intuitiven Kraft nach Belieben zuarbeiten. Es sind dies Ideen, die sich in einem noch sehr instabilen Zustand befinden und eine Landung in jedem Falle eine Bruchlandung wäre, was ich unter allen Umständen und mit allen Mitteln zu vermeiden strebe.
Ideen sind viel zu kostbar, um sie einem solchem Schicksal auszuliefern.
5
„Bin ich auch kostbar?“, fragt Kant.
Ich schweige. Was für eine Frage!, denke ich. Ein Kant schmeichelndes Ja wäre ebenso gelogen wie ein ihn verletzendes Nein. Ich lebe mit ihm, und er lebt – wenigstens irgendwie lebt er – mit mir, ohne dass wir uns deshalb lieben müssten, als wären wir die dicksten Freunde, und uns um den Hals fallen können wir aufgrund unserer unterschiedlichen Konsistenz sowieso nicht.
Ich weiche aus, indem ich mich in einen Scherz flüchte, der jedoch in die Hose geht.
„Mit ‚Kost‘ hat es was zu tun.“
Nun schweigt er. Mir ist, als würde er schlucken.
„Dann macht es dir bestimmt nichts aus, wenn ich für ein paar Tage Urlaub mache. Ich wiederhole: mache.“