Gedicht

In Weimar im Dezember

In Weimar war es im Dezember.
Das Jahr zog seine letzte Bahn.
Da wurde Goeth’ auffallend unruhig
und blickte Schill’ mit Schrecken an.

„Advent ist’s und ein Lichtlein brennt,
dann brennen zwei, dann drei, dann vier,
dann steht“, sprach Goeth’ beinahe tonlos,
„dann steht das Christkind vor der Tür.“

„Ach was“, sprach Schill’ und war erstaunt.
Goeth’s Dichterstirn war tief zerfurcht.
Die Augen kündeten Verzweiflung.
Der ganze Goeth’ war Angst und Furcht.

„Wisst ihr denn nicht, was das bedeutet?
Erst Weihnachten und dann das Ende!“,
stieß hauchend Goeth’ hervor und griff
entsetzten Angesichts Schill’s Hände.

„Was ist so schrecklich, bester Goeth’,
wenn im Advent ein Lichtlein brennt?
Wenn’s Christkind vor der Tür bei vier?
Und wenn dann bald das Jahr zuend’?“

„Ein Jahr ist um“, sprach darauf Goeth’.
„Doch ist es nicht wie jedes Jahr,
weil dieses Jahr, ihr müsst es wissen,
ein durchaus ganz besond’res war.

Apokalypt’sche Todesangst
umklammert mein gequältes Herz.
Das Ende naht. Schluss! Aus! Vorbei!
Fühlt ihr denn nicht wie ich den Schmerz?“

Schill’ fühlte in der Tat den Schmerz nicht,
der Goeth’ im Innersten durchschnitt
und den er an des Freundes Seite
verlassen und allein durchlitt.

Jedoch Goeth’s Nase trog ihn nicht,
nicht täuschte ihn sein Feingefühl:
Dies Jahresende hier in Weimar
war auch das End’ von Goeth’ und Schill’.

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